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Der Parkplatz als natürlicher Lebensraum des Amerikaners

written by Christian Trapp on 2024-02-19

Ich war vor kurzem in Amerika unterwegs und die besten Begegnungen mit Bewohnern dieses Landes hatte ich auf Parkplätzen. Und einige der schönsten Aussichten. Amerika als ein Land der Automobilisten darzustellen ist natürlich ein Klischee aber es ist schwer zu leugnen, dass diese Gesellschaft stark vom Automobil geprägt wurde. Oder von der Weite des Landes, deren neue Interpretation anhand der Möglichkeiten des Automobils eine kulturelle Revolution war.

Mobilität spielt eine große Rolle in dieser Gesellschaft und schlägt sich auch in den Biografien der Menschen nieder. Viele der Leute, die mir begegneten, wussten zu berichten, wo sie schon gewohnt hatten, dass die Eltern woanders her kamen und die Großeltern von ganz woanders. Mobilität ist normal und ein Auto zu bewohnen ist weitgehend frei vom Stigma der Obdachlosigkeit. Besitzlosigkeit ist eine andere Sache. Wer wenigstens ein Auto hat, beweist sein Leben im Griff zu haben, beweist Handlungsfähigkeit.

Das größte Klischee in diesem Zusammenhang sind die Parkplätze von WalMart, deshalb beginne ich auf einem solchen (Außerdem passt es chronologisch).  Mein Kumpel Christoph und ich waren auf dem Weg von Seattle Richtung Südosten. Unser Plan war, uns vor Verlassen der Stadt noch mit Vorräten zu versorgen. Es war Spätsommer, in der Luft ein leichtes Lagerfeueraroma, hervorgerufen durch die Waldbrände im Umland. Wir standen mit unserem Mietwagen auf dem Parkplatz des WalMart Supercenters im Süden Seattles und wollten vor dem ersten langen Abschnitt der Reise unsere Ausrüstung zum Kaffee kochen testen.

Also bin ich mit dem Campingtopf in der Hand zu unserem Nachbarn, der in seinem blauen Chevy Campervan saß, um Wasser zu schnorren. Er war auf dem Weg nach Norden, fort von den Waldbränden im Süden, auf der Suche nach besserer Arbeit in Washington State. Das Gespräch verlief überraschend. Wir waren praktisch sofort bei politischen Themen, der Weg von Waldbränden und Dürre zum Klimawandel war kurz. Unser Nachbar hatte hierzu viel zu sagen, hatte die Auswirkungen selbst gesehen und viel Zeit hinterm Steuer gehabt, um sich Gedanken zu machen. Und er interessierte sich für die europäische Perspektive, besonders als wir darauf kamen, dass die Klimaveränderung große Migrationsbebwegungen auslösen wird.

Amerikas Geschichte als Einwanderungsland und der Umgang mit der indigenen Bevölkerung war ein weiteres Thema und wie in solchen Zeiten die Menschen überall dazu neigen, Angst zu bekommen und sich abzuschotten, Die Schuld für alles bei den \"Anderen\" meist schwachen zu sehen. Natürlich stand er der (eigentlich jeder) Regierung kritisch gegenüber, und zwar nicht nur aus amerikanischer Tradition sondern teilte den Standpunkt, dass seine Regierung nicht die Interessen der Bevölkerung vertreten würde. Die Position deckte sich sehr mit dem, was ich von Zuhause kenne, aber auch aus Portugal, wo ich früher im Jahr gewesen bin. Ich sah mich dem Eindruck gegenüber, dass einige wirklich schlechte Zeiten auf uns zu kommen, und dass es praktisch nichts gibt, was der einzelne dagegen tun kann, weil die Welt von stärkeren Interessen beherrscht wird. Sehr vergleichbar mit dem Gefühl der Aussichtslosigkeit, dass gerade Europa in Resignation und Radikalisierung spaltet.

Und es ging um die Legalisierung von Gras, und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen. Der legale Hanfanbau ist eine ganz neue Landwirtschaft und ein großes Geschäft. Die hohe Gewinnspanne bringt eine neue Klasse von Wanderarbeitern hervor: \"Trimmigrants\", wie die jungen Leute aus dem Osten genannt werden, die hoffen, auf den Hanfplantagen im Westen schnelles Geld zu verdienen. Diese neue Form der Landwirtschaft hat sogar schon ihre eigene Folklore, über Trimmigrants, die verschwinden und zu Dünger verarbeitet werden, wenn die Ernte schlecht ist. Ich hatte den Eindruck, mitzuerleben, wie das Land sich neu erfindet indem es sich mal wieder auf den Weg nach Westen macht.

Auf einem anderen Parkplatz konnten wir uns indirekte Auswirkungen dieses Trends anschauen. In Eureka, California, sprachen wir mit einem Typen, der damit beschäftigt war, den Grünstreifen am Parkplatz zu pflegen. Der Steifen war eher braun, wegen der anhaltenden Dürre, passte aber hervorragend nach Eureka.

Eureka ist eine Kleinstadt an der Westküste, in der Nähe großer alter Redwood Wälder, die erst vom Wegfall der Holzindustrie, dann von der Dürre und schließlich vom Meth getroffen wurde. Auch hier lockten die Verheißungen des Hanfanbaus Scharen von Trimmigrants an, die sich dann mit der Tatsache konfrontiert sahen, dass der wirtschaftliche Betrieb einer Plantage ohne Regen nicht möglich ist. Sie blieben trotzdem und verschrieben sich dem Kochen von Meth. Diese Leute und ihre Kunden sind in der Stadt überall präsent. Und auch hier hat sich Walmart als hervorragender Indikator Sozialer Umstände gezeigt: In der Campingabteilung waren die Schlafsäcke in einem Glasschrank verwahrt, wie anderswo Schnaps oder Munition. Es gibt wirklich erschreckend viele offensichtlich kranke Obdachlose in Eureka.

Bei dem Mann am Grünstreifen handelte sich um einen überzeugten Christen. Den einzigen übrigens, der sich auf unserer Reise als solcher zu erkennen gegeben hat. Aus der Haft entlassen und geschieden hatte er sich ausgerechnet Eureka für einen Neuanfang ausgesucht. Nach längerer Arbeitssuche hat er sich an eine kirchliche Organisation gewandt, die Unterkunft im Austausch gegen den Besuch von Bibelstunden bot. \"Disciple Program\" heißt sowas dann. Wobei er zu berichten wusste, dass er zu Gott schon im Gefängnis gefunden hatte. Aus den Bibelstunden wurde dann ein Job in einer Einrichtung, die sich aus religiösen Motiven um Obdachlose kümmer. Das beherrschende Thema unseres Gesprächs (Eigentlich hat Christoph gesprochen und ich habe mich um Kaffee gekümmert) war dann auch der Vergleich europäischer Sozialsysteme mit der Situation in den USA. Wohlfahrt hat in diesem Land eine deutlich persönlichere Komponente als hier.