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Das Leben in der Zukunft

written by Chris Hian on 2024-02-28

Das Blog ist eine Ausdrucksform einer vergangenen Zeit. Das ist OK, Zeiten ändern sich schon immer und es schreiben auch schon immer Leute darüber. Heute bin ich über kottke.org auf ein anderes Urgestein gestoßen: Interconnected. Hier wird die These formuliert, dass unsere Technologie dabei ist die Star Trek Ära zu verlassen und ins Douglas Adams Universum vorzustoßen. Also die Idee, dass wir bis vor kurzem unsere Innovationen von Star Trek haben inspirieren lassen und jetzt an einen Punkt kommen, wo unsere Produkte daherkommen, als wären si der Welt Ford Prefects entsprungen. Point in case: KIs die aus Angst gecancelt zu werden, Amerikanische Ureinwohner in die deutsche Wehrmacht hineinphantasieren, obwohl klar ist, dass die Enigma jedem Codesprecher überlegen war (Spoiler: War sie nicht).

Also, statt des Endes der Armut durch Replikatoren bekommen wir demente Computer. Und das ist ärgerlich und menschengemacht und es gab Leute, die das haben kommen sehen und uns davor gewarnt haben, aber darum geht es mir nicht. Dies Entwicklung erfordert eine neues Genre, oder vielmehr die Evolution des Cyberpunk Genres. Weil ich auf den Sale gewartet habe, bin ich später als die meisten auf den Cyberpunk 2077 Zug aufgesprungen. Ich hatte natürlich gelesen, wie krass das Charakterbasteltool ist und dass das voll viele Körpertypen kann, und war extrem gespannt. "Ich kann eine kleine dicke Frau spielen?"- Count me in! In Echt gab's dann drei Körbchengrößen und einen optionalen Penis (mit parametrisierten Maßen) für die schlanke Frau, aber als Lektion, was in der Branche als 'krass divers!' betrachtet wird, war's cool.

Als Jemand, der mit Cyberpunk 2020 auf Papier groß geworden ist, hat das Spiel trotzdem einen besonderen Platz in meinem Herzen. CDPR hat das Quellmaterial genommen, mit viel Liebe aufbereitet und dann beschlossen, dass Night City eine funktionierende Polizei haben sollte. Also, die zentrale Stadt einer Welt, in der staatliche Funktionen vollständig von Megacorps übernommen wurden, wo das Konzept der Nation als überholt gilt und das öffentliche Leben fest in der Hand örtlicher Gangs oder Stämme liegt, hat eine unabhängige Polizei. Von dieser Auffälligkeit abgesehen, ist die Welt jedoch ordentlicher Cyberpunk. Sozialsysteme oder Fürsorge gibt es nur innerhalb von Firmenstrukturen, die Mensch- Maschine Integration funktioniert, Megacorps sind größer als Nationalstaaten und setzen sich über geltendes Recht hinweg, einfach weil sie es können. Bei Bedarf stellen sie ihre eigene Gerichtsbarkeit oder klären Konflikte untereinander mit militärischen Mitteln.

Bei genauer Betrachtung sind wir von vielen dieser Umstände gar nicht so weit entfernt. Waymo und Uber testen ihre Roboterautos in der freien Wildbahn. Amazon hat mit dem Mechanical Turk Artificial Artificial Intelligence realisiert und eine Vielzahl von Menschen zu einer universellen Maschine integriert. Gamification von Reviews stattet Google mit bionischen Augen aus, um Inhalte zu erfassen, die seinen maschinellen Sensoren nicht zugänglich sind. Mensch- Maschine Integration war zwar anders gemeint, aber das ist, was wir bekommen. Und hier möchte ich die Idee des Cyberpunk anpassen. In der literarischen Vorlage funktioniert die Technologie und es gibt eine Oberschicht, die von der Existenz im Businessumfeld profitiert. Das Leben ist für drei viertel der Bevölkerung ein täglicher Kampf um die Krumen, die vom Tisch fallen, aber dem Rest geht's prima. Und in CP2070 kann V sich einem beliebigen Computer nähern und direkt einstecken.

Und es sieht so aus, als würden wir beides nicht bekommen. Die großen Firmen entlassen Leute, die Qualität der Angebote lässt nach und die Technologie hält nicht, was uns versprochen wurde. Robotaxis entlasten nicht die Straßen sondern überfahren Menschen und blockieren Kreuzungen. USB-C ist ein Standard, nicht der Standard. Unsere Zukunft fühlt sich nach Junkpunk an.

Der Parkplatz als natürlicher Lebensraum des Amerikaners

written by Christian Trapp on 2024-02-19

Ich war vor kurzem in Amerika unterwegs und die besten Begegnungen mit Bewohnern dieses Landes hatte ich auf Parkplätzen. Und einige der schönsten Aussichten. Amerika als ein Land der Automobilisten darzustellen ist natürlich ein Klischee aber es ist schwer zu leugnen, dass diese Gesellschaft stark vom Automobil geprägt wurde. Oder von der Weite des Landes, deren neue Interpretation anhand der Möglichkeiten des Automobils eine kulturelle Revolution war.

Mobilität spielt eine große Rolle in dieser Gesellschaft und schlägt sich auch in den Biografien der Menschen nieder. Viele der Leute, die mir begegneten, wussten zu berichten, wo sie schon gewohnt hatten, dass die Eltern woanders her kamen und die Großeltern von ganz woanders. Mobilität ist normal und ein Auto zu bewohnen ist weitgehend frei vom Stigma der Obdachlosigkeit. Besitzlosigkeit ist eine andere Sache. Wer wenigstens ein Auto hat, beweist sein Leben im Griff zu haben, beweist Handlungsfähigkeit.

Das größte Klischee in diesem Zusammenhang sind die Parkplätze von WalMart, deshalb beginne ich auf einem solchen (Außerdem passt es chronologisch).  Mein Kumpel Christoph und ich waren auf dem Weg von Seattle Richtung Südosten. Unser Plan war, uns vor Verlassen der Stadt noch mit Vorräten zu versorgen. Es war Spätsommer, in der Luft ein leichtes Lagerfeueraroma, hervorgerufen durch die Waldbrände im Umland. Wir standen mit unserem Mietwagen auf dem Parkplatz des WalMart Supercenters im Süden Seattles und wollten vor dem ersten langen Abschnitt der Reise unsere Ausrüstung zum Kaffee kochen testen.

Also bin ich mit dem Campingtopf in der Hand zu unserem Nachbarn, der in seinem blauen Chevy Campervan saß, um Wasser zu schnorren. Er war auf dem Weg nach Norden, fort von den Waldbränden im Süden, auf der Suche nach besserer Arbeit in Washington State. Das Gespräch verlief überraschend. Wir waren praktisch sofort bei politischen Themen, der Weg von Waldbränden und Dürre zum Klimawandel war kurz. Unser Nachbar hatte hierzu viel zu sagen, hatte die Auswirkungen selbst gesehen und viel Zeit hinterm Steuer gehabt, um sich Gedanken zu machen. Und er interessierte sich für die europäische Perspektive, besonders als wir darauf kamen, dass die Klimaveränderung große Migrationsbebwegungen auslösen wird.

Amerikas Geschichte als Einwanderungsland und der Umgang mit der indigenen Bevölkerung war ein weiteres Thema und wie in solchen Zeiten die Menschen überall dazu neigen, Angst zu bekommen und sich abzuschotten, Die Schuld für alles bei den \"Anderen\" meist schwachen zu sehen. Natürlich stand er der (eigentlich jeder) Regierung kritisch gegenüber, und zwar nicht nur aus amerikanischer Tradition sondern teilte den Standpunkt, dass seine Regierung nicht die Interessen der Bevölkerung vertreten würde. Die Position deckte sich sehr mit dem, was ich von Zuhause kenne, aber auch aus Portugal, wo ich früher im Jahr gewesen bin. Ich sah mich dem Eindruck gegenüber, dass einige wirklich schlechte Zeiten auf uns zu kommen, und dass es praktisch nichts gibt, was der einzelne dagegen tun kann, weil die Welt von stärkeren Interessen beherrscht wird. Sehr vergleichbar mit dem Gefühl der Aussichtslosigkeit, dass gerade Europa in Resignation und Radikalisierung spaltet.

Und es ging um die Legalisierung von Gras, und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen. Der legale Hanfanbau ist eine ganz neue Landwirtschaft und ein großes Geschäft. Die hohe Gewinnspanne bringt eine neue Klasse von Wanderarbeitern hervor: \"Trimmigrants\", wie die jungen Leute aus dem Osten genannt werden, die hoffen, auf den Hanfplantagen im Westen schnelles Geld zu verdienen. Diese neue Form der Landwirtschaft hat sogar schon ihre eigene Folklore, über Trimmigrants, die verschwinden und zu Dünger verarbeitet werden, wenn die Ernte schlecht ist. Ich hatte den Eindruck, mitzuerleben, wie das Land sich neu erfindet indem es sich mal wieder auf den Weg nach Westen macht.

Auf einem anderen Parkplatz konnten wir uns indirekte Auswirkungen dieses Trends anschauen. In Eureka, California, sprachen wir mit einem Typen, der damit beschäftigt war, den Grünstreifen am Parkplatz zu pflegen. Der Steifen war eher braun, wegen der anhaltenden Dürre, passte aber hervorragend nach Eureka.

Eureka ist eine Kleinstadt an der Westküste, in der Nähe großer alter Redwood Wälder, die erst vom Wegfall der Holzindustrie, dann von der Dürre und schließlich vom Meth getroffen wurde. Auch hier lockten die Verheißungen des Hanfanbaus Scharen von Trimmigrants an, die sich dann mit der Tatsache konfrontiert sahen, dass der wirtschaftliche Betrieb einer Plantage ohne Regen nicht möglich ist. Sie blieben trotzdem und verschrieben sich dem Kochen von Meth. Diese Leute und ihre Kunden sind in der Stadt überall präsent. Und auch hier hat sich Walmart als hervorragender Indikator Sozialer Umstände gezeigt: In der Campingabteilung waren die Schlafsäcke in einem Glasschrank verwahrt, wie anderswo Schnaps oder Munition. Es gibt wirklich erschreckend viele offensichtlich kranke Obdachlose in Eureka.

Bei dem Mann am Grünstreifen handelte sich um einen überzeugten Christen. Den einzigen übrigens, der sich auf unserer Reise als solcher zu erkennen gegeben hat. Aus der Haft entlassen und geschieden hatte er sich ausgerechnet Eureka für einen Neuanfang ausgesucht. Nach längerer Arbeitssuche hat er sich an eine kirchliche Organisation gewandt, die Unterkunft im Austausch gegen den Besuch von Bibelstunden bot. \"Disciple Program\" heißt sowas dann. Wobei er zu berichten wusste, dass er zu Gott schon im Gefängnis gefunden hatte. Aus den Bibelstunden wurde dann ein Job in einer Einrichtung, die sich aus religiösen Motiven um Obdachlose kümmer. Das beherrschende Thema unseres Gesprächs (Eigentlich hat Christoph gesprochen und ich habe mich um Kaffee gekümmert) war dann auch der Vergleich europäischer Sozialsysteme mit der Situation in den USA. Wohlfahrt hat in diesem Land eine deutlich persönlichere Komponente als hier.